Horizonterweiterung in "down under"
Meine Schwester war vor zwei Jahren in Nelson, Neuseeland. Endlich war ich dran! Mit 19 Mitschülern der Klassen 9 -11 des Pestalozzi-Gymnasiums und den Lehrern Frank Heckelsmüller und Ulla Reeder begab ich mich auf die 38 Stunden dauernde Reise. Am Flughafen Nelson wurden wir überaus herzlich empfangen von Leigh Riley, zuständig für internationale Gäste am Nelson College, den Gasteltern und Birgit Neumann, der unermüdlichen Seele unseres Austausches. Die offizielle Begrüßung durch den Schulleiter Gary O'Shea bei der formellen Maoribegrüßung und in der Schulversammlung würdigte unseren Besuch in einer Weise, für die Mitschüler Tobias Müller in seiner Rede dankte. Auch der Bürgermeister Nelsons, Kerry Marshall, empfing uns: seine Idee der "friendly towns" gibt Hoffnung für weitere Begegnungen. Höchst unkompliziert und humorvoll sprach er mit uns und gab uns Geschenke für unseren Oberbürgermeister mit.
Gastfamilien
In unseren Gastfamilien fühlten wir uns alle ohne Ausnahme auf Anhieb wohl. Anfangs war es echt hart, das schnell gesprochene umgangssprachliche Englisch zu verstehen. Aber bald begrüßte ich auch locker alle mit "gdday, mate" und redete drauflos, ohne mich meiner Fehler zu schämen!
Barbecues an traumhaften Stränden (der fest im Freien installierte Grill auf Rabbit Island lieferte auf Knopfdruck Gas), zuhause und auf dem Aquaboot im Abel Tasman Park gewöhnten unsere Zunge zunehmend an die "undeutsch" schmeckenden Würstchen.
Natürlich verwöhnte ich meine Gasteltern dafür mit meinen selbstgemachten Kässpätzle!
Schulleben
Zuerst war ich irritiert, dass eine Schule von der Größe des PGs keine Schülerinnen hatte. Andererseits ist mit Jungen immer eine sportliche Aktivität möglich! Abends sangen sie mit dem Musiklehrer stundenlang. Den Unterricht selbst und das Leben in Neuseeland beschrieb ein Lehrer des Nelson College als "easy-going" und "relaxed". Schulbeginn ist hier frühestens um 8.45Uhr! Dass die Gesamtschule auch Fächer wie Art Design, Automechanik und Holzbearbeitung anbietet, erinnerte mich an unsere EVA-Stunden. Ich bin gespannt, ob das PG auch immer mehr als Chance gesehen wird, seine Freunde zu treffen und seinen Hobbys nachzugehen...
Land
Obwohl ich die Bilder meiner Schwester gesehen hatte, beeindruckten mich die Nähe des Pazifik und der tasmanischen See zum Regenwald und den schneebedeckten Gipfeln des Mount Tasman und Mount Cook außerordentlich! Die seltenen und immer noch ungeklärten Kalksteinformationen der "Pancake Rocks" waren ebenso urig wie die Wasserfälle am Arthur's Pass. Und es gibt so viel unberührte Natur! Kein Wunder bei 4 Millionen Einwohner auf einer Fläche, die ähnlich der von Deutschland ist! Während acht Stunden Wanderns trafen wir gerade mal 30 Menschen, die aber kamen aus 20 Nationen. Sogar im ehemaligen Vulkankrater in Akaroa schwammen wir - mit den heiß ersehnten Delfinen.
Erfahrungen
Was hatte meine Schwester geschwärmt von den Dusky Dolphins in Kaikoura! Allerdings waren unsere Erlebnisse unterschiedlich: die Morgengruppe wollte gar nicht mehr raus aus dem 17 Grad warmen Pazifik, so genossen sie das Spiel mit den Hector's Delfinen, den kleinsten der Delfine: fröhlich klackten sie mit Steinen unter Wasser, um die Tiere zu unterhalten und drehten sich um sich selbst, da die Delfine sie dann blitzschnell umkreisten. Meine - spätere - Gruppe hatte nicht das Vergnügen, die Tier aus nächster Nähe zu erleben - aber wild lebende Meerestiere sind eben nicht dressiert ….
Für uns Biberacher waren natürlich alle unbekannten Wesen faszinierend: die Albatrosse, die wir vom Kajak aus sehen konnten, die riesige Robbenkolonie in Oahu, die Oppossums, deren Fallen allgegenwärtig waren (sie gefährden Neuseelands Vögel und Bäume), die Stoats, eine Art Wiesel, die aggressiven Sandfliegen, deren Stiche wir nicht gewöhnt sind…
Aber auch eine Schafschur am Drysdale Schaf war interessant, ebenso wie der südliche Nachthimmel, auf dem wir neue Galaxien entdeckten, die man in Biberach nicht sehen kann! Durch keine "Lichtverschmutzung" gestört, betrachteten einige von uns lange die Saturnringe oder das Southern Cross - auf der Flagge Neuseelands verewigt - durch ein Teleskop.
Maori
Den Haka, den Tanz der Rugbyspieler vor dem Spiel, hatte ich schon einige Male in Biberach gesehen. Konnten mir die Maori, die ersten Einwanderer Neuseelands, noch Neues bieten? In der Schule tauschten wir nach dem offiziellen "Powhiri", dem Willkommensgruß der Maoriklasse, den wir fröhlich mit dem "Fliegerlied" beantworteten, den Nasengruß, den "Hongi", mit den Anwesenden: Stirn an Stirn, Nase an Nase. In der Klasse des Matua (= Lehrer) Wayne Hippolite lernten wir ein bisschen Maori-Grammatik und -texte, so dass wir für die Inszenierung im Tamaki Village in Christchurch vorbereitet waren.
Aber was ich dort sah, haute mich dann doch um. Zwar kannte ich die Tätowierungen der Maori und ihre kriegerisch wirkende Erscheinung, doch die Geschichte des Warlords Te Tawhiti war blutrünstig! Eine grausige Kampfmaschine trat da in Szene! Was wir sahen, beruhte auf geschichtlichen Tatsachen: Stammeskriege im 19. Jahrhundert schwächten die Maori. Wir gingen nach Einbruch der Dunkelheit den Weg durch Dörfer und lernten Nahrung und Lebensweisen der Maori kennen, bevor die Geschichte der Dezimierung dieses Volkes in Szene gesetzt wurde. In freier Natur sahen wir Frauen und Männer wuchtige Stockkämpfe ausfechten, bevor Musketen eingesetzt wurden. Wir wurden Zeugen, wie Kinder an den von Europäern eingeschleppten Krankheiten wie Masern, Grippe oder Tuberkulose starben; wir sahen torkelnde Maori, die dem von Briten mitgebrachten Alkohol verfallen waren und erlebten hautnah in einer Holzkirche, wie christliche Missionierung der Maori ausgesehen haben mochte… Dass wir nach dieser absolut faszinierenden Reise (unter anderem in alten Trams) ein im Erdboden gegartes Essen, ein Hangi, von den Schauspielern serviert bekamen, war ein großartiger Höhepunkt: sämige Muschelsuppe, Kumara (Süßkartoffeln), Fisch, Lamm, Huhn, Gemüse, Weißkohlsalat, Desserts wie die berühmte Baiser-Sahne-Kiwi-Kreation "Pavlova" machten nicht nur mich satt und hochzufrieden…
Gruppe
Wir bekamen in Nelson als Gruppe beste Referenzen. Auf der siebentägigen Rundreise machten wir wiederum neue Erfahrungen damit, für Essen und Sauberkeit zuständig zu sein. Wir mussten auf Pünktlichkeit achten, da wir allabendlich unsere Koffer in einen anderen Backpacker hievten. Wir lernten, aufeinander zu achten und auch einfache Unterkünfte anzunehmen (outdoor experience), keinen Müll zurückzulassen und ordentlich Schlange zu stehen - ein gutes britisches Erbe…
Horizonterweiterung
Auf dem Weg zur Hauptstadt Wellington wechselten wir vom Bus zur Fähre. Diese von der Volksbank Biberach gesponserte Überfahrt auf der Fähre "Kaitiki" - 1600 Personen, 600 Autos aufnehmend - ging dieses Mal sanft über die Bühne. Die Cook Strait zeigte sich von ihrer lieblichsten Seite, so dass wir am nächsten Morgen konzentriert der Führung durch das Parlament in Wellington (dem "Beehive", da das Gebäude einem Bienenkorb ähnelt) folgen konnten. Ich wusste bereits, dass die Kiwis keine zweite Kammer haben und dass ihr Wahlsystem dem Deutschlands gleicht. Aber der Premierminister John Key, ein Millionär, war mir neu.
Von Wellington aus starteten wir dann zum Kontrastprogramm nach Hong Kong: nach leeren Stränden und einsamen Berggegenden landeten wir in der 7-Millionen-Wuselstadt, in denen 88 Stockwerke im Rahmen des "public housing" Projektes das Normalmaß sind für Gebäude. Natürlich waren wir von der Skyline bei der abendlichen Lasershow beeindruckt, aber so richtig blühten wir bei den Märkten auf!
Für die ungeheure Vielfalt, die wir auf dieser Reise erlebten, möchten wir Schüler Eltern, Lehrern, Gastgebern und Sponsoren herzlich danken! Mark Twain schrieb: "Reisen ist gefährlich für Vorurteile, Intoleranz und Engstirnigkeit." Wie wahr.