Das große Jahrbuch-Interview mit dem scheidenden Schulleiter Reinhold Hummler
Was brachte Sie auf die Idee Lehrer zu werden?
Ich komme aus einer Lehrerdynastie: mein Vater war Lehrer, ich habe fünf Geschwister, und bis auf zwei sind alle Lehrer geworden (und teilweise auch deren Ehepartner). Vielleicht liegt ja etwas Pädagogik im Blut. Allerdings hat sich das nicht fortgesetzt auf die nächste Generation: von meinen 17 Nichten und Neffen – inklusive meiner eigenen drei Töchter – wurde nur eine Lehrerin. In meiner Entwicklung zum Lehrer war ich zunächst von den Fächern (Mathematik und Physik) geleitet. Je älter ich wurde, desto mehr traten die Schüler und die Pädagogik in den Vordergrund.
Am Ende des Studiums hatte ich mir überlegt, ob ich nicht in die Wirtschaft gehe, Angebote von Versicherungen lagen mir vor. Ich entschied mich dann dafür, zunächst das Referendariat zu machen, um die Ausbildung zu beenden. Danach hatte offensichtlich das Pflänzchen der Pädagogik bereits eine gewisse Größe erreicht, so dass ich dann in der Branche hängengeblieben bin. So war meine Motivlage.
Was war Ihre Motivation, den Schritt vom Lehrer zum Schulleiter zu wagen?
Schon früh nach meinem beruflichen Einstieg hatte ich verschiedene Aufgaben über den Unterricht hinaus übernommen: So war ich einige Jahre Rektoratsassistent, zwölf Jahre Personalrat (davon vier Jahre Vorsitzender), zehn Jahre Oberstufenberater, das System Schule lernte ich so gut kennen. Mit Frau Neidlein hatte ich viel zusammengearbeitet, sie ließ mich immer hinter die Kulissen schauen. Fünf Jahre war ich dann Fachberater für Mathematik. In dieser Zeit lernte ich natürlich andere Schulen und Unterrichte kennen und lernte, Beratungsgespräche zu führen. Insoweit war ich dann – ohne das karriereorientiert geplant zu haben – gut vorbereitet, als Frau Neidlein in den Ruhestand ging. Einige Jahre zuvor hatte ich noch keinen Gedanken daran verschwendet Schulleiter zu werden. Nun aber hatte ich mein Herz an der Schule verloren und warf meinen Hut in den Ring. 17 Jahre später kann ich feststellen, dass es eine gute Entscheidung war und dass ich mich in jeder Phase wohlgefühlt habe. Die positiven Erfahrungen überwiegen bei weitem. Außerdem bin sicher, dass ich durch diese 17 Jahre auch für mich persönlich sehr viel gelernt habe. Der Hummler 2010 ist sicher ein anderer als er wäre, wenn er nicht Schulleiter geworden wäre. Deshalb ist mein dominierendes Gefühl heute Dankbarkeit, dass ich diese Chance bekommen habe.
Ist Schulleitersein schwer, muss man das lernen? Oder fiel Ihnen der Job in ihren ersten Jahren bereits genauso leicht wie – anscheinend – in den letzten?
Das Gefühl der Gesamtverantwortung lässt einen nie los. Ich hatte im Jahr dreieinhalb Wochen (in der Mitte der großen Ferien), in denen ich richtig abschalten konnte und das Gefühl von Freiheit hatte. In den übrigen 48 Wochen des Jahres hatte ich dieses Gefühl nicht. Zum Glück konnte ich mich immer auf ein überaus engagiertes und tatkräftiges Kollegium, auf viele virtuos in vielen Bereichen selbständig arbeitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stützen. So kam nie das Gefühl auf, dass die ganze Bürde allein auf mir lastet.
Ich freue mich nun kurz vor dem „Finale“ aber doch, nicht nur dreieinhalb Wochen, sondern dauerhaft die Verantwortung abgeben zu können. Als Schulleiter lernt man dauernd hinzu. Durch meine diversen Funktionsstellen hatte ich jedoch gute Voraussetzung, so dass mich nichts wirklich überrascht hat. Mir persönlich kam es auch entgegen, dass ich das Kollegium kannte. Ich hoffe – auch wegen meiner sachorientierten Denkweise –, dass niemand sagen kann, ich hätte mich von persönlichen Bindungen nicht freimachen können und dies hätte meine Entscheidungen beeinflusst. Für mich war es eine Hilfe, dass ich 90 Kollegen vom ersten Tag an mit Namen gekannt habe, teilweise auch deren Stärken … und Schwächen haben ja bekanntermaßen die wenigsten (schmunzelt).
Haben Sie, als Sie Schulleiter wurden, von ihrer Vorgängerin Elfriede Neidlein irgendwelche Tipps bekommen?
Da ich mit Frau Neidlein schon viel zusammengearbeitet hatte, bezog sich die „Übergabe“ allenfalls auf Kleinigkeiten. Sie hatte aber immer ein offenes Ohr, wenn ich sie in heikleren Dingen befragte.
Hat man als Schulleiter auch noch Freunde unter den Lehrern, oder ist das Verhältnis durch die Rolle als Vorgesetzter zu distanziert? War der Übergang vom Kollegen zum Schulleiter problematisch?
Eigentliche hatte ich kein Problem, die Rolle zu wechseln. Ich habe die Kollegen, mit denen ich vorher per du war, auch hinterher geduzt, und die Kollegen, die neu dazu kamen, habe ich gesiezt. Mir ist zumindest nicht aufgefallen, dass das zu Stirnrunzeln im Kollegium geführt hat. Selbstverständlich hatte und habe ich im Kollegium Freunde. Im Übrigen bemühte ich mich immer und ein vertrauensvolles Verhältnis zu allen.
Was waren die größten Stärken des Schulleiters Reinhold Hummler?
Ich bin sicher der ungeeignetste für diese Frage. Mir war vom ersten Tag an klar, dass ich Ziele nur mit guten Argumenten, also der Kraft der Überzeugung erreichen kann. Als Schulleiter ist man in vielfacher Hinsicht vernetzt: Stadt als Schulträger, RP Tübingen, Konferenzen, Personalrat, Eltern, Schüler. Es muss gelingen, für jede weitergehende Maßnahme Verständnis zu erwecken, Menschen zu begeistern und sie dazu animieren, einen vorgeschlagenen Weg mitzugehen. Wenn einem Schulleiter diese Art der Kommunikation gelingt – und oft ergeben sich im Verlaufe dieses Prozesses noch Verbesserungen - , ergeben sich immer erfolgreiche Lösungen. Ich bilde mir ein, dass ich im Laufe der Zeit die Fähigkeit, Menschen "mitzunehmen" entwickelt habe.
Gibt es im Nachhinein einen Fall, bei dem sie glauben, dass man es hätte noch besser machen können? Gibt es etwas, was Sie nach diesen ganzen Jahren als Schulleiter bereuen oder bedauern?
Vielleicht wäre es möglich, die Entwicklung hin zur „kooperativen, kommunikativen "Leitungsfigur" etwas schneller zu durchlaufen.
Ist es das, was Sie meinten, als Sie sagten, dass sich der Hummler 1993 deutlich vom Hummler 2010 unterscheidet, da Sie seither so viel dazugelernt haben?
Das ist sicher ein wichtiges Element. Sicher bin ich heute argumentativ stärker - gestählt in Hunderten von Gesprächen mit Partnern, die auch ihre Ziele verfolgten. Auch in Sachen Gesprächsführung, Taktik und Auftreten habe ich sicher viel dazugelernt.
17 Jahre Schulleiter am PG: Was waren die bedeutendsten Meilensteine bzw. Einschnitte während Ihrer Amtszeit?
Ich überblicke ja – wenn ich richtig rechne – 36 Jahre Entwicklung am Pestalozzi-Gymnasium. Sicher gab es in all den Jahren Veränderungen (Einführung von Latein als zweiter Fremdsprache, reformierte Oberstufe o. ä.). Zu bewältigen war insbesondere der starke Anstieg der Schülerzahl und damit einhergehend die große Raumnot in den 80er Jahren. Aber das sind kleinere Veränderungen im Vergleich zum massiven Umbruch durch die Einführung des achtjährigen Gymnasiums. Ein Befürworter von G8 war ich nie. Sehr geärgert hatte ich mich damals, dass unredlich argumentiert wurde.
G8 war ja zunächst ein Schulversuch an vier baden-württembergischen Gymnasien für hochbegabte Schüler. Stufe zwei war dann mit dem Schlagwort, „25% der Schüler müssten in der Lage sein, den Bildungsgang schneller zu durchlaufen“ verbunden. In der dritten Phase waren dann per Dekret 100% der Schüler begabt genug, die gymnasiale Schulzeit ein Jahr schneller zu bewältigen. So wurde ich vom G8-Gegner zum G8-Umsetzer. Überlagert wurde der Prozess der Einführung des achtjährigen Gymnasiums dann ja durch die IZBB-Maßnahmen, die uns dann die Chance boten, G8 bestmöglich umzusetzen.
Auf dem Papier sind in den letzten Jahren ja einige Kompetenzen von den übergeordneten Behörden an die Schulen übertragen worden. Glauben Sie, dass sich die Schulen heute wirklich so viel mehr voneinander unterscheiden als früher?
Man muss unterscheiden zwischen organisatorischen Aufgaben, die von oben nach unten delegiert worden sind, und unserer Kernaufgabe – und das sollte man ja nie aus den Augen verlieren – die Zusammenarbeit und pädagogische Arbeit mit unseren Schülern. Dass sich die Schulen heute voneinander mehr unterscheiden als früher, ist sicher richtig. Ursächlich ist die "lange Leine" mit der Schulen ihren Angelegenheiten innerhalb gewisser Spielräume gestalten können.
Das war nicht immer so. So verlangte das Oberschulamt beim ersten "Abigag", der zu Unterrichtsausfall am PG führte, von meiner Vorgängerin, dass sie den gesamten ausgefallenen Unterricht nachholen lassen soll. Diesem „Marschbefehl“ widersetzte sich Frau Neidlein jedoch erfolgreich. Heute stelle ich fest, dass ich – abgesehen von personellen Angelegenheiten – kaum mit Tübingen zu tun habe. Ich genieße die Freiheit und fühle mich wirklich "operativ eigenständig". Allerdings kostet diese neue Freiheit deutlich mehr Zeit. Früher bekam ich einen Erlass aus Tübingen, der wurde ausgehängt, und jeder wusste, was Sache ist. Heute muss ich einen Prozess initiieren, für ihn werben und entsprechend kommunizieren. Das heißt, es ist schwieriger und zeitaufwendiger geworden. Und die Leitungszeit der Schulleitung, also Schulleiter, stellvertretende Schulleiterin und fünf Abteilungsleiter, ist erst vor kurzen etwas verbessert worden.
Was hat am Schulleitersein am meisten Spaß gemacht, was am wenigsten?
Am meisten Spaß hat mir der Umgang mit den Personen gemacht: Kollegen, Eltern, Schüler, wobei letztere die zuverlässigsten waren. Zuverlässig deswegen, weil sie am begeisterungsfähigsten sind und noch nicht – z. B. durch jahrelange (auch schlechte) Erfahrungen – zu Bedenkenträgern geworden sind. Das ist erfrischend und war eigentlich immer toll. Ich habe es natürlich bedauert, dass ich immer weniger mit Schülern zu tun hatte, oder wenn doch, dann entweder mit den "schwierigen" oder den aktiven, engagierten. Als positiv habe ich es auch empfunden, dass es uns gelungen ist, die Ganztagsschule umzusetzen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es die richtige Entscheidung war.
Regelmäßig habe ich die Gelegenheit, Delegationen und Schulleiter anderer Schulen durch unser Haus zu führen. Die überaus positiven Rückmeldungen über unser pädagogisches Konzept und unsere außerordentlich gute Infrastruktur dabei tun gut und bestärken uns in unserer Arbeit. Und beim Gegenteil … da fällt mir jetzt eigentlich nichts Pointiertes ein.
Über wen mussten Sie sich als Schulleiter des PG am meisten ärgern: Schüler, Eltern, Lehrer, Stadtverwaltung oder RP bzw. Kultusministerium? oder anders gefragt: Wer ist in welchem Ausmaß für Ihre grauen Haare verantwortlich?
Am wenigsten Schuld an meinen grauen Haaren sind die Schüler. Sicher gibt es in jeder Klasse "schwierige Schüler". Aber die damit verbundenen pädagogischen Herausforderungen gehören zu unserer Arbeit. Sicher gibt es schwierige Gespräche mit Eltern oder Kollegen. Aber sehr belastet hat mich dies nicht. Meist lässt sich in Gesprächen ein befriedigendes Ergebnis herstellen. Letztlich weiß ich also nicht, wo meine grauen Haare herkommen.
Macht es einen Unterschied, eine Klasse als Schulleiter zu unterrichten?
Der Unterschied ist erstaunlich klein – uns das ist gut so. Ich habe nicht den Eindruck, dass es nachhaltige Verhaltensänderungen bei den Schülern bewirkt, ob ich als Mathematiklehrer oder als Chef in eine Klasse gehe.
Inwieweit hat G8 das Leben an der Schule verändert?
Mit G8 ist ja gleichzeitig der neue Bildungsplan (2004) in Kraft getreten. Der damit einhergehende Zwang, Dinge selbst regeln zu müssen bzw. zu dürfen, förderte schon die Fundierung der eigenen Arbeit. Und es schadet ja nie, zu reflektieren, warum man etwas so oder so macht. Auch in der Schülerschaft sind Veränderungen festzustellen. So haben G8-Schüler heute weniger Zeit. Man merkt das in der SMV bei verschiedenen Aktionen – die Luft ist auch für Schüler dünner geworden. Wir spüren das an der abnehmenden Bereitschaft sich zu engagieren. Andererseits muss man auch sagen: Die Zahl der Schüler, die im Kaufland die Regale auffüllen, ist kleiner geworden; offensichtlich war im G9 schon auch viel Zeit.Aus meiner Sicht wäre ein zweistufiges G8 wünschenswert: Schüler, die das wollen, können nach acht Jahren das Abitur ablegen, alle anderen nach neun. Gerade heute hat der Philologenverband eine Umfrage veröffentlicht, die besagt, dass zwei Drittel der Bevölkerung mit der deutschen Bildungspolitik unzufrieden ist und sich über die Hälfte eine Zurücknahme von G8 wünscht.
G8 hat ja das Programm IZBB (Investition Zukunft, Bildung und Betreuung) nach sich gezogen ……
das kann man so nicht sagen. Bundeskanzler Schröder wollte 2002 seine Wiederwahl sichern und hat – angeregt durch einen erfolgreichen Wahlkampf Kurt Becks in Rheinland-Pfalz – dieses Investitionsprogramm aufgelegt. Der mit Bundesmitteln geförderte Ausbau vieler Ganztagsschulen ist also nicht der Einsicht der Bildungspolitiker zuzurechnen, sondern dem drohenden Machtverlust Schröders. Die zeitliche Koinzidenz mit der Einführung von G8 in BW ist rein zufällig.
Für Schüler und Lehrer wurden die IZBB-Projekte erst bekannt, als bereits recht konkrete Pläne existierten. Wer hatte eigentlich – hier in Biberach – die Idee dazu, wie lief das ganze an?
Der erste Impuls kam von der Stadt: Der Erste Bürgermeister Roland Wersch lud Ende 2003 alle Biberacher Schulleiter ein und bot an, sie zu unterstützen, wenn sie ihre Schule zu einer Ganztagesschule ausbauen wollten. Angesichts der Veränderungen, die durch die Einführung von G8 (z. B. zwangsläufig deutlich mehr Nachmittagsunterricht) auf die Gymnasien zukommen, war es Herrn Dr. Wulz und mir sofort klar, dass sich hier eine einmalige Chance auftat, die es zu ergreifen galt. Herr Wersch ermunterte uns, ein Konzept aufzustellen und zu benennen, welche baulichen Voraussetzungen dazu nötig wären. So entwickelten die Schulen die Bausteine des pädagogischen Konzeptes sowie die zugehörigen baulichen Wünsche und Erfordernisse. Noch im Jahr 2003 stellten wir dann Herrn Wersch und Frau Leonhardt (damalige Leiterin des Stadtkämmereiamtes) unser Konzept vor und konnten beide dafür begeistern. Dann ging es Schlag auf Schlag: Innerhalb eines halben Jahres entwickelten wir das pädagogische Profil, das Raumkonzept (zusammen mit dem Architekturbüro Mann & Partner in Laupheim) mit Kostenerfassung.
Ende Mai 2004 wurde der Antrag eingereicht (zum spätestmöglichen Termin!), der dann mit 8,6 Mio. Euro bewilligt wurde.Also man kann sagen: Die lange Leine der Stadt und unsere G8-bedingte Not und die Bereitschaft, die Chance zu ergreifen, hat zu diesem Weg geführt.
Sind Sie heute mit den IZBB-Bauten zu 100% zufrieden, oder würden Sie, wenn Sie es nochmals machen müssten, heute etwas anders machen?
Man könnte immer etwas anders machen. Richtig schwierig war die architektonische Herausforderung, aus dem Bestand heraus Fläche für die Mediothek zu schaffen, die ja für beide Schulen gleich gut zugänglich sein sollte. Ich finde, wir können höchst zufrieden sein mit der geschaffenen Infrastruktur.
Warum gibt es keinen Oberstufenraum? Warum hat das WG einen Ruheraum und wir nicht?
Im Moment haben wir schlichtweg keinen Raum dafür. Wenn es nur noch G8-Schüler im Haus gibt, haben wir deutlich weniger Schüler (ca. 130 Schüler), so dass man dann noch einmal nachdenken lässt. Ein andere Frage ist, ob es so sinnvoll ist, wenn jede Stufe ihren eigenen Raum hat.
Was halten sie von der Anregung von Herrn Appel (Vorsitzender des Ganztagsschulverband Deutschland) anlässlich seines Vortrages im Rahmen der Festwoche, dass eine Ganztagsschule auch eine Diskothek haben sollte?
Das erfordert personelle Mittel und räumliche Voraussetzungen. Wenn die erfüllt sind – warum nicht? Alles, was die Schüler an die Schule bindet, soll uns nur recht sein. Es ist ja die Philosophie der IZBB-Bauten, dass wir einen Campus haben, auf dem man sich tagsüber aufhält. Das ist eine homogenere Auffassung von Schule. Wenn eine Diskothek dem Ziel der Identifikation der Schüler mit ihrer Schule dient, kann das nur gut sein.
Wie beurteilen Sie die Bildungshoheit der Länder, oder umgekehrt, wären Sie für bundeseinheitliche Schul- und Bildungspolitik?
Wenn ich in Berlin, Bremen oder Hamburg leben würde, wäre ich für eine Vereinheitlichung. Da ich aber in Baden-Württemberg lebe, bin ich der Meinung, dass wir nur verlieren würden, wenn alles über einen Kamm geschert werden würde.
Als Schulleiter ist man Manager und Pädagoge – in welchem Bereich halten Sie eine Entlastung für sinnvoll?
Der Anteil von Verwaltung wird von Außenstehenden deutlich überschätzt. Geschätzt 10% meiner Arbeitszeit widme ich der Verwaltung. Selbst die Deputatsverteilung ist vorrangig eine pädagogische Aufgabe. Natürlich bin ich auch in einer komfortablen Position. Was meine Stellvertreterin, die Rektoratsassistenten, die Sekretärinnen, die Oberstufenberater und andere an organisatorischen Arbeiten selbständig und engagiert und perfekt erledigen, ist bewundernswert.
Was waren Ihre eindrücklichsten Erlebnisse während Ihrer Zeit als Schulleiter?
An negativen fallen mir die Todesfälle ein: der Kollege Herrmann, der aus dem aktiven Dienst heraus verstorben ist, die Schüler, die verunglückt sind. Diese Dinge vergisst man nicht.In positiver Hinsicht denke ich an den Abschluss des Umbaus unserer Schule zur Ganztagsschule. Es ist schön zu sehen, dass nach fünf Jahren intensivster Arbeit die Sache baulich und inhaltlich zu einem Abschluss kommt. Auch das rundum gelungene Jubiläum zum 150-jährigen Bestehen bleibt in guter Erinnerung.
Haben/hatten Sie Einfluss auf die Auswahl ihres Nachfolgers/ Ihrer Nachfolgerin?
Mein Einfluss liegt bei rund null Prozent und in der Schulkonferenz habe ich eine von 13 Stimmen.
Welche Eigenschaften wünschen Sie Ihrem Nachfolger/ Ihrer Nachfolgerin?
Ich hoffe, dass sie/er offen und kommunikationsfähig ist, veränderungsbedürftige Dinge sieht und sie gemeinsam mit Eltern, Lehrern und Schülern weiterentwickelt. Sicher wird sie/er dann die nötige Unterstützung erfahren.
Gibt es ein Projekt oder irgendetwas, was Sie gerne noch in ihrer Zeit als Schulleiter am PG verwirklicht gesehen hätten?
Es gibt immer noch etwas zu tun. Was mir noch am Herzen liegt, ist – auch wenn sich das komisch anhört – die Benachteiligung der Jungen anzugehen. Wir haben eine Erziehungsart, die Mädchen mehr entgegen kommt. Mädchen sind angepasster, haben weniger Aggressionen. Wir haben noch zu wenig Angebote, bei denen sich Jungen austoben können. Zudem sind Jungen in der Entwicklung rund ein Jahr zurück. Es hätte mich gereizt, eine reine Jungen-Sprachengruppe in Klasse 5 einzurichten, um damit die Jungen, die auch sprachlich nicht so weit wie die Mädchen sind, gezielt zu fördern.
Was werden sie am meisten vermissen?
Die Personen – Schüler, Kollegen, Mitarbeiter und Eltern.
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie an Ihren Ruhestand denken?
Ich habe ein Reisedefizit, ein Lesedefizit und ich werde meinen Flügel stimmen lassen, der auch schon mit mir beleidigt ist, weil ich so wenig zum Spielen komme. Ich freue mich, Herr meiner Termine zu sein, Dinge auch spontan tun zu können.
Als stolzer Vater dreier Töchter würden Sie es sicher gerne sehen, wenn eine Ihrer Töchter nach Biberach zurückkehren würde. Was aber würden Sie machen, wenn eines Ihrer Enkelkinder aufs WG gehen will?
Zunächst baue ich auf den guten Geschmack des Enkels (lacht). Aber im Ernst: Jeder muss die Entscheidung für sich treffen, und wenn’s dann so kommt, wäre das in Ordnung.
Vielen Dank für das Gespräch.