WIE VERZWICKT, EIN MASS ZU FINDEN

Die Theater-AG des Pestalozzi-Gymnasiums hat sich in diesem Jahr nur scheinbar ein verwickeltes Justizdrama ausgesucht. Zur Aufführung im Komödienhaus kommt vielmehr eine pralle Komödie - ein echter Shakespeare.

Das ist kein leichter Theaterschmaus, den die Theater-AG des Pestalozzi-Gymnasium sich vorgelegt hat. Shakespeares Maß für Maß gilt auch bei Bühnenprofis als äußerst heikel.
Eine flotte Komödie - keineswegs.
Zum Plot: Lust und Laster liegen auf der Straße. Banditen löchern frech die Bank, erleichtern manches Säckel. Parolie bietet da der Statt, mitt gestrengem "law and oarder." Doch wie und was, wenn die Macht sich selbst als korrupt erweist? Verführbar und bestechlich. Das klingt doch gar nicht fern ...
Was Wunder, dass die Spielschar dies akute Thema reizte. Shakespeare wollte sie zudem unbedingt - zum dritten Mal nach dem Sommernachtstraum und Viel Getu um nichts - probieren.
Ein konzentrierter Abend von gut zweistündiger Spieldauer kam heraus. Souverän wurde das Ganovenpack der Schieber, Zuhälter samt den Damen vom Straßenstrich, der Gauner und Knastis ausgespielt! Dagegen die bel étage der Macht: Der Herzog Vincentio übergibt die Macht dem Statthalter Angelo, dem vermeintlich sittenrein Gestrengen. Der Wechsel scheint nur glücklich.
Den Verführer und Erzeuger einer unehelichen Brut schickt er nicht nur hinter Gitter, sondern droht ihm, Claudio, mit Enthauptung. Ebenso heißt es für Barnadino, diesen eingefleischten Anarchisten: Kopf ab!

Der wahre Herzog verfolgt unter dem Deckmantel einer Mönchskutte den gestrengen Machtvollzug. Und - schreitet ein, mit Witz und Tücke, wenn Amtsmissbrauch droht. So wird der Stellvertreter seiner klammen Lust letztlich überführt, ebenso wie Claudio. Gleiches Recht und Maß für alle. Die Komödie mag so am Ende siegen.
Trefflich gelingt die Charakterisierung der ‚Komödienfiguren' der Puffmutter durch Kristina Achberger, des Dümmlings von Stephan Rüb, des Wachtmeisters Ellbogen durch Ronya Semrau, des Bierzapfers Pompejus von Laura Sommer, des Scharfrichters Scheißlich durch Gabriel Zell.
Klar figuriert und entschieden in Haltung, im Verhalten das ‚Führungspersonal': Da wird der misstrauische Herzog von Hannah Zipprich äußerst wach und intelligent vorgeführt. Tobias Ilg zeichnet seinen Angelo von vornherein vordergründig souverän und machtbewusst, insgeheim, verstohlen, gibt er aber auch Unsicherheit und Selbstzweifel preis.

Sensibel, zart, werden Mariana, die Verlobte von Angelo, und Julia, die heimliche Geliebte Claudios, Ariane Straub angelegt. Zerrissen in ihrer leidenschaftlichen Anteilnahme am Bruderschichsal gestaltet Juliane Bürglen ihre Isabelle. Und die etwas undurchsichtig - wetterwendische Gestalt des ‚Beraters' Escalus gewinnt durch Sophia Sanwald - vorzüglich in Intonation und Gestik! - eine kritische Nuance an Glaubwürdigkeit.

Shakespeare-Zauber an Freud und Leid der Liebe aber verbreitet Lea Müller nach der Pause mit ihrer tänzerisch beschwingten Einlage eines Sonetts des Dichters.
Deutliche Steigerung erfährt der Zweite Teil. Das Publikum folgt sichtlich engagiert dem zügigen Spiel. Reichlich Beifall gibt's für manch griffige Szene.
Pfiffig das Bühnenbild. Ein großes Gitter, leicht verschieb-, verstellbar, leicht mit den nötigen ‚Applikationen' zu behängen, zu bestücken, darf als Metapher für das Raster der Gewohnheit, der Vergatterung, der Fahndung und Einkerkerung gedeutet werden.

Und ebenso treffend einfühlsam die von den Schülern gemixte Zuspielmusik. Rundweg ein gelungener Abend, den, wie stets, umsichtig das bewährte Regieduo Ulla Reederund Hubert Stöferle mit ihren 26 Mitwirkenden geschaffen haben. Großes Lob.


Wolfgang Veit


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